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Änderung Geburtenregister

Veröffentlichung des Kompetenzzentrums Jugend-Check

Geprüfter Gesetzentwurf: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben (Stand: 05.06.2018)

Verantwortliches Ressort:
Inneres, Bau und Heimat
Veröffentlichung vom:
12.06.2018
Betroffene Lebensbereiche:
Familie, Politik/Gesellschaft, Umwelt/Gesundheit
Art der Betroffenheit:
junge Menschen als Betroffene, junge Menschen als Normadressatinnen und -adressaten
Betroffene Gruppen junger Menschen:
Altersgruppe 12-27, nicht-binär, trans, alle Lebensmittelpunkte, mit und ohne Beeinträchtigung, alle Staatsangehörigkeiten

Prüfbericht

  • Regelungsvorhaben

    Die Regelung dient der Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts1 zum Schutz der geschlechtlichen Identität, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG. Bislang sieht das Geburtenregister drei Eintragsmöglichkeiten (weiblich/männlich/keine Angabe) vor. Durch die Neuregelung gibt es nun eine weitere Variante, nämlich das Geschlecht als „weiteres“ anstatt mit „keine Angabe“ zu beurkunden oder eine binäre Zuweisung vorzunehmen, vgl. § 22 Abs. 3 Personenstandsgesetz (PStG). Relevant ist dies für Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung, die sich aufgrund körperlicher Merkmale nicht eindeutig als „weiblich“ oder „männlich“ zuordnen lassen. Die Angabe wird dabei weiterhin erstmals von den Eltern kurz nach Geburt gemacht. Im Falle einer ärztlich festgestellten Variante der Geschlechtsentwicklung kann diese elterliche Angabe ab Vollendung des 14. Lebensjahres von den Betroffenen, bis zum Eintritt der Volljährigkeit unter der Bedingung elterlicher Zustimmung, durch Erklärung gegenüber dem Standesamt geändert werden, vgl. § 45b Abs. 1 PStG. Im Falle mangelnder elterlicher Zustimmung, stößt das zuständige Standesamt einen Prozess an, durch den das Familiengericht die Zustimmung ersetzen kann. Parallel hierzu kann auch der Vorname angepasst werden.

  • Betroffene Gruppen junger Menschen

    Betroffen und für den Jugend-Check relevant sind junge Menschen zwischen 12 und 27 Jahren. Direkt betroffen sind dabei intergeschlechtliche Menschen. Mittelbar betroffen sind auch Menschen mit transgeschlechtlichem Hintergrund sowie mit einer nicht-binären Verortung. Weiterhin können auch junge Eltern mittelbar betroffen sein, insbesondere von intergeschlechtlichen Kindern.

  • Betroffene Lebensbereiche
    Familie, Politik/Gesellschaft, Umwelt/Gesundheit
  • Erwartete Auswirkungen

    Die Möglichkeit „weiteres“ in das Geburtsregister eintragen zu lassen, soll intergeschlechtlichen Menschen eine „positive Angabe“3 über ihre geschlechtliche Identität ermöglichen. Die zu erwartenden Auswirkungen betreffen dabei insbesondere Jugendliche, die eine auf körperlichen Gegebenheiten beruhende intergeschlechtliche Identität entwickeln. Gerade im Kontext der spezifischen Entwicklungsaufgaben der Lebensphase Jugend erlangt die Auseinandersetzung mit dieser Identität in der Regel zusätzliche Relevanz4, wie beispielsweise auf diese Personengruppe ausgerichtete Hilfs- und Beratungsangebote zeigen.5 Mit dem Gesetzentwurf sollen physische sowie damit verbundene psychische Gegebenheiten,6 in der Phase der Identitätsfindung, auch rechtlich eigenständig verortet werden. Dies stärkt die Stellung Betroffener als Individuum, was durch die bloße Nichtangabe eines Geschlechts kaum zu erreichen war. Weiter wird die Selbstbestimmung junger Menschen gefördert, indem ihnen die Möglichkeit gegeben wird,  eine Änderung des Registereintrages bzw. des Vornamens bereits ab dem vollendeten 14. Lebensjahr anzustoßen. Dieser Gewinn an Selbstbestimmung wird für Minderjährige allerdings durch den Vorbehalt der elterlichen Zustimmung eingeschränkt. Wird diese nicht erteilt, kann das Standesamt eine Ersetzung der Zustimmung durch das Familiengericht beantragen. In dieser Weise soll sichergestellt werden, dass nur kindeswohlrelevante Motive als Faktoren für oder gegen eine Zustimmung wirken.7
    Eine solche Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt kann sich akzeptanzfördernd in der Gesellschaft auswirken. Dies ist insbesondere wichtig, da Intergeschlechtlichkeit noch immer ein gesellschaftliches Tabuthema ist, bei dem unter anderem ein besonderer Bedarf der pädagogischen Aufbereitung besteht.8
    Fraglich ist, inwiefern dies unter dem Vorzeichen realisierbar ist, dass der Gesetzentwurf das Vorliegen einer ärztlichen Bescheinigung vorsieht. Denn letztlich geht die Einholung einer solchen zum einen zu Lasten der Selbstbestimmung.9 Zum anderen müssen sich Betroffene damit einer ärztlichen Untersuchung aussetzen, was gerade für in der Pubertät befindliche Menschen ein auf Scham gründendes Hindernis darstellen kann. Darüber hinaus können mittelbar junge Eltern eines intergeschlechtlichen Kindes betroffen sein: Die erweiterte Möglichkeit der Geschlechtsangaben kann den Druck reduzieren, ihrem Kind ein Geschlecht zuzuweisen.

  • Anmerkungen und Hinweise

    Der vorliegende Entwurf sieht nicht vor, auf die Angabe des Geschlechts im Geburtenregister gänzlich zu verzichten17 oder durch eine offene Kategorie einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag zu ermöglichen. Dadurch besteht weiterhin eine gewisse Gefahr, dass Betroffene zunächst einer für sie nicht zutreffenden Kategorie zugeordnet werden.
    Die Einführung der zusätzlichen Variante „weiteres“ trägt zwar dem Umstand Rechnung, dass es nicht nur ein drittes Geschlecht gibt. Allerdings eignet sich der Begriff nicht unbedingt als positive Angabe zur eigenen geschlechtlichen Identität. Denn hierfür ist er zu offen gewählt worden, so dass es Betroffenen schwer fallen kann, sich mit diesem Begriff zu identifizieren. Insbesondere jungen intergeschlechtlichen Menschen wird ihr ohnehin komplexer Identitätsfindungsprozess dadurch schwerer gemacht, als dies etwa bei Wahl der Begriffe „inter/divers“ der Fall gewesen wäre.18
    Da der Gesetzentwurf allein körperliche Merkmale als Voraussetzung für die geschlechtliche Zuordnung vorsieht, bleibt hingegen jungen Menschen mit transgeschlechtlichem Hintergrund die Möglichkeit eines alternativen Eintrags weiterhin verwehrt.

  • Datenbasis

    Literaturrecherche, Sekundärdaten

  1. Vgl. „BVerfGE vom 10.10.2017, 1 BvR 2019/16“.
  2. Vgl. „BVerfGE vom 10.10.2017, 1 BvR 2019/16“.
  3. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben“, 05. Juni 2018.
  4. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben“, 10.
  5. Vgl. BT-Drucksache 18/2482, „Kleine Anfrage, Zwischen Geschlecht – Zur sozialen Lage Transsexueller, Intersexueller und Transgender“, 5. September 2014, 3f.; Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte, „Gutachten: Geschlechtervielfalt im Recht. Status quo und Entwicklung von Regelungsmodellen zur Anerkennung und zum Schutz von Geschlechtervielfalt“, Begleitmaterial zur Interministeriellen Arbeitsgruppe Inter- & Transsexualität, Band 8 (Berlin, 2017), 29.
  6. Vgl. „Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zur Intersexualität“, 14. Februar 2012.
  7. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben“, 11.
  8. Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte, „Gutachten: Geschlechtervielfalt im Recht. Status quo und Entwicklung von Regelungsmodellen zur Anerkennung und zum Schutz von Geschlechtervielfalt“, 29.
  9. Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte, „Stellungnahme gemäß § 27a BVerfGG im Verfahren 1 BVR 2019/16“ (Berlin, 2017), 6; vgl. Greta Schabram, „‚Kein Geschlecht bin ich ja nun auch nicht‘: Sichtweisen intergeschlechtlicher Menschen und ihrer Eltern zur Neuregelung des Geschlechtseintrags“ (Berlin, 2017), 31.
  10. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben“, 05. Juni 2018.
  11. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben“, 10.
  12. Vgl. BT-Drucksache 18/2482, „Kleine Anfrage, Zwischen Geschlecht – Zur sozialen Lage Transsexueller, Intersexueller und Transgender“, 5. September 2014, 3f.; Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte, „Gutachten: Geschlechtervielfalt im Recht. Status quo und Entwicklung von Regelungsmodellen zur Anerkennung und zum Schutz von Geschlechtervielfalt“, Begleitmaterial zur Interministeriellen Arbeitsgruppe Inter- & Transsexualität, Band 8 (Berlin, 2017), 29.
  13. Vgl. „Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zur Intersexualität“, 14. Februar 2012.
  14. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben“, 11.
  15. Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte, „Gutachten: Geschlechtervielfalt im Recht. Status quo und Entwicklung von Regelungsmodellen zur Anerkennung und zum Schutz von Geschlechtervielfalt“, 29.
  16. Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte, „Stellungnahme gemäß § 27a BVerfGG im Verfahren 1 BVR 2019/16“ (Berlin, 2017), 6; vgl. Greta Schabram, „‚Kein Geschlecht bin ich ja nun auch nicht‘: Sichtweisen intergeschlechtlicher Menschen und ihrer Eltern zur Neuregelung des Geschlechtseintrags“ (Berlin, 2017), 31.
  17. „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben“, 7.
  18. Vgl. Kampagne „Dritte Option“, „Statement der Kampagne ‚Dritte Option‘ zur anstehenden Gesetzesreform“, 2018, 4.
  19. „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben“, 7.
  20. Vgl. Kampagne „Dritte Option“, „Statement der Kampagne ‚Dritte Option‘ zur anstehenden Gesetzesreform“, 2018, 4.

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