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Strukturen gegen sexuelle Gewalt

Geprüfter Gesetzentwurf: Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen (Stand 15.04.2024)

Verantwortliches Ressort:
Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Veröffentlichung vom:
22.04.2024
Betroffene Lebensbereiche:
Familie, Freizeit, Politik/Gesellschaft, Umwelt/Gesundheit
Art der Betroffenheit:
junge Menschen als Betroffene
Betroffene Gruppen junger Menschen:
Altersgruppe 12-27, alle Geschlechter, alle Lebensmittelpunkte, mit und ohne Beeinträchtigung, alle Lern- und Erwerbsverhältnisse, alle Staatsangehörigkeiten

Ziel des Gesetzentwurfs

Mit dem Gesetzentwurf wird das Ziel verfolgt, die Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen zu stärken, wozu u.a. das Gemeinsam-gegen-Kindesmissbrauch-Gesetz – UBSKMG eingeführt werden soll. Darin soll u.a. die Stelle der oder des Unabhängigen Bundesbeauftragten gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen gesetzlich verankert und die Berichterstattung zum Ausmaß sexueller Gewalt gegen Kinder verbessert werden. Darüber hinaus sollen die Hilfeleistungen für von sexueller Gewalt Betroffener verbessert werden und die Prävention durch Sensibilisierung, Aufklärung und den Ausbau von Beratungsangeboten ausgeweitet werden.1 Des Weiteren soll durch Änderungen im Achten Sozialgesetzbuch (SGB VIII) der Gewaltschutz als Kriterium für die Qualitätsentwicklung auf die gesamten Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe erstreckt werden.2

Mögliche Auswirkungen

Das Kompetenzzentrum Jugend-Check hat folgende mögliche Auswirkungen identifiziert:

  • Es soll ein Recht von Kindern und Jugendlichen auf Schutz vor sexueller Gewalt und Ausbeutung gesetzlich verankert werden und der Staat zur Verhütung solcher Taten, begleitende Maßnahmen, wie bedarfsgerechte Hilfe- und Unterstützungsangebote sowie Prävention und Interventionsmaßnahmen in Betreuungs- und Erziehungseinrichtungen, verwirklichen (§ 1 Abs. 1 S.1 und S. 2 Nr. 1 – 3, Abs. 2 UBSKMG ). Durch den Rechtsanspruch wird der besondere Schutzgedanke gegenüber Minderjährigen und die staatliche Verantwortung dafür festgeschrieben und ein Beitrag zur nachhaltigen Etablierung von Standards, Fachwissen und Kompetenzen, die junge Menschen an den Orten ihres Aufwachsens vor sexueller Gewalt schützen, geleistet.
  • Das Amt der oder des Unabhängigen Beauftragten gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen soll gesetzlich verankert werden und pro Legislaturperiode ein Bericht über den Stand zu Prävention, Intervention sowie zu Aufarbeitung und Forschung von sexueller Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen erstellt werden (§§4 Abs. 1; 7 Abs. 1 S. 1UBSKMG). Die gesetzliche Verankerung kann dazu beitragen, dass es eine langfristige politische Interessenvertretung für die Belange betroffener junger Menschen gibt und konkrete Vorschläge und Maßnahmen zur Verbesserung der Prävention und Intervention vorangetrieben werden. Der Bericht kann dabei unterstützen, die Prävalenz der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche zu ermitteln, die Dunkelfeldforschung voranzutreiben und damit Maßnahmen befördern, die dem Schutz betroffener Jugendlicher dienen.

Betroffene Gruppen junger Menschen

Betroffene sind junge Menschen zwischen 12 und 27 Jahren, die von sexueller Gewalt betroffen sind oder waren. Betroffene sind darüber hinaus junge Menschen zwischen 12 und 17 Jahren, wenn sie in Betreuungs- oder Erziehungseinrichtungen betreut werden bzw. sich dort aufhalten.

Die polizeiliche Kriminalstatistik verzeichnet für das Jahr 2023 16.375 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch.3 In zwei Dritteln der Fälle werden Mädchen Opfer sexueller Gewalt.4 Sie sind damit häufiger als Jungen betroffen. Ein besonderes Risiko, sexuell missbraucht zu werden, tragen junge Menschen mit Behinderung oder Beeinträchtigung, wobei auch hier Frauen mit Behinderung oder Beeinträchtigung häufiger betroffen sind. Von ihnen geben 20 bis 34 Prozent an, in Kindheit und Jugend sexuellen Missbrauch durch Erwachsene erlebt zu haben.5 Weitere Risikofaktoren dafür, von sexueller Gewalt betroffen zu sein, weisen Jugendliche aus prekären sozialen Verhältnissen sowie Mädchen auf, die bereits Missbrauch erlebt haben und in Einrichtungen der stationären Jugendhilfe untergebracht sind.6 Auch wenn sexueller Missbrauch in den meisten Fällen im familiären Bereich durch Angehörige begangen wird, erleben Kinder und Jugendliche sexuelle Gewalt auch in Sportvereinen, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie in der Schule.7

Betroffene Lebensbereiche

Familie, Freizeit, Politik/Gesellschaft, Umwelt/Gesundheit

Jugendrelevante Auswirkungen

Verankerung einer politischen Interessenvertretung und Sichtbarmachung in Gesellschaft und Politik

§§ 1 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 1 – 3, Abs. 2; 4 Abs. 1;; 6 Abs. 1 ; 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 ; 14 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 – 4; 15 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 UBSKM

Mit dem Gesetzentwurf soll das Recht von Kindern und Jugendlichen auf Schutz vor sexueller Gewalt und Ausbeutung gesetzlich verankert werden, vgl. § 1 Abs. 1 S. 1 Gesetz zur Einrichtung einer der eines unabhängigen Bundesbeauftragten gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen (Gemeinsam-gegen-Kindesmissbrauch-Gesetz – UBSKMG). Die Verhütung entsprechender Taten und die Einhaltung dieses Rechts soll durch den Staat z.B. in Form von Prävention, Aufklärung und Sensibilisierung in Einrichtungen und Online-Diensten, die von Kindern und Jugendlichen genutzt werden sowie durch Intervention in Betreuungs- oder Erziehungseinrichtungen, bedarfsgerechte Hilfe- und Unterstützungsangebote für Betroffene sowie Qualitätsentwicklung im Kinderschutz verwirklicht werden, vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 – 3, Abs. 2 UBSKMG.

Darüber hinaus soll das Amt einer oder eines Unabhängigen Bundesbeauftragten gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen gesetzlich verankert werden, vgl. § 4 Abs. 1 UBSKMG. Dem oder der Unabhängigen Bundesbeauftragten sollen diverse Aufgaben obliegen, wie beispielsweise die politische Interessenvertretung von Menschen mit Erfahrungen von sexueller Gewalt oder Ausbeutungserfahrungen, die Entwicklung von Präventionsmaßnahmen sowie die Förderung einer politischen Aufarbeitungen entsprechender Taten durch eine Unabhängige Aufarbeitungskommission, vgl. § 6Abs. 1 UBSKMG.

Der Entwurf sieht zudem die Pflicht zur Vorlage eines Berichtes pro Legislaturperiode durch den oder die  Unabhängige Beauftragte vor in dem „über das Ausmaß und den aktuellen Stand zu Prävention, Intervention, Hilfen und Unterstützungsleistungen sowie Aufarbeitung und Forschung von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und deren Folgen“ berichtet werden soll, § 7 Abs. 1 S. 1 UBSKMG. Der Bericht soll zudem auch eine Stellungnahme des Betroffenenrates vgl. § 7 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 UBSKM.

Zusätzlich zur bzw. zum Unabhängigen Beauftragten soll ein Betroffenenrat eingerichtet werden, der mit der Aufgabe der Sichtbarmachung von Betroffeneninteressen, dem bzw. der Unabhängigen Beauftragten bei ihrer bzw. seiner Arbeit zur Seite stehen und gegenüber dieser bzw. diesem beratend und unterstützend tätig werden soll, ebenso soll er eigene Vorschläge unterbreiten dürfen, vgl. § 14 Abs. 1 und Abs.2 Nr. 1 – 4 UBSKMG.

Es soll zudem eine unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs bei der oder dem Unabhängigen Beauftragten eingerichtet werden, vgl. § 15 Abs. 1 S. 1 UBSKMG. Aufgabe der Unabhängigen Kommission ist die Förderung der Aufarbeitung von Taten der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR seit 1949, vgl. § 15 Abs. 2 S. 1 UBSKMG. Diese Aufgabe soll untere anderem durch die Anhörung von Menschen mit entsprechenden sexuellen Gewalterfahrungen oder die Beförderung staatlicher Aufarbeitung erreicht werden, vgl. § 15 Abs. 2 Nr. 1 – 6 UBSKMG.

Mit dem Gesetzentwurf erhalten Kinder und Jugendliche ein gesetzlich verankertes Recht auf Schutz vor sexueller Gewalt und Ausbeutung, welches mit der Verpflichtung des Staates einhergeht, ihren Schutz durch Prävention und Intervention in allen Lebenslagen zu gewährleisten. Damit wird der besondere Schutzgedanke gegenüber Minderjährigen und die staatliche Verantwortung dafür, insbesondere in Betreuungs- aber auch in Ausbildungseinrichtungen, gesetzlich festgeschrieben, wodurch etwa Erzieherinnen und Erzieher befähigt werden sollen, ihrem präventiven Erziehungsauftrag nachzukommen.8 Mit dem Rechtsanspruch kann Artikel 19 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention entsprochen werden, der die Vertragsstaaten verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um Minderjährige vor körperlicher und geistiger Gewaltanwendung einschließlich des sexuellen Missbrauchs zu schützen. Die gesetzliche Verankerung kann zur nachhaltigen Etablierung von Standards, Fachwissen und Konzepten beitragen, die junge Menschen an den Orten ihres Aufwachsens schützen.9 Im Rahmen dieses Rechts soll der Staat Maßnahmen ergreifen, um betroffenen Kindern und Jugendlichen bedarfsgerechte Hilfe- und Unterstützungsleistungen zukommen zu lassen. Dies kann eine bessere Qualifizierung von Fachkräften bedeuten, damit diese sodann gefährdete oder betroffene junge Menschen erkennen und Hilfemaßnahmen einleiten können.10

Die gesetzliche Verankerung der oder des Unabhängigen Bundesbeauftragten gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen kann langfristig dazu beitragen, dass es eine dauerhafte und unabhängige politische Interessenvertretung für die Belange Betroffener gibt, durch die konkrete Vorschläge und Maßnahmen zur Verbesserung der Prävention und Intervention als auch zur Förderung von Hilfe- und Unterstützungsleistungen vorangetrieben werden können. Der Bericht der oder des Unabhängigen Beauftragten kann dabei eine „evidenz- und erfahrungsbasierte Grundlage für Politik und Fachpraxis“11 sein, welcher die Prävalenz der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche offenlegt, die Dunkelfeldforschung vorantreibt und Empfehlungen an Politik und Gesellschaft gibt,12 die zu einer Verbesserung des Schutzes vor sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen beitragen kann. Insbesondere die Stellungnahme des Betroffenenrates, die Teil des Berichtes sein soll,13 kann Maßnahmen befördern, die dem Schutz betroffener Kinder und Jugendlicher dienen können. Die Unterstützung der oder des Unabhängigen Beauftragten durch den Betroffenenrat kann die Sichtbarmachung von Betroffeneninteressen stärken und durch eine möglichst bundesweite Verteilung der Mitglieder auch landesspezifische Aspekte in die Arbeit einbeziehen.14 Ebenso kann die Verstetigung der Arbeit der unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs zum Schutz von Kindern und Jugendlichen beitragen, indem durch die Aufarbeitung Fälle von Missbrauch in Familien sowie innerhalb von Sportvereinen, Kirchen oder Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sichtbar gemacht15 werden. Durch die Aufarbeitung könnte dazu beigetragen werden, Strukturen zu schaffen, die dies in Zukunft verhindern sollen.

Unterstützung von Betroffenen bei der individuellen Aufarbeitung

§ 9b Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2, Abs. 3 S. 1 SGB VIII; § 3 UBSKMG

Neben der dauerhaften Implementierung einer politischen Interessenvertretung sollen zudem Maßnahmen zur Leidenslinderung Betroffener ergriffen werden, vgl. § 3 Abs. 1 UBSKMG.  Es soll ein Beratungssystem zur Unterstützung der individuellen Aufarbeitung der erfahrenen Gewalt für die Betroffenen aufgebaut werden, vgl. § 3 Abs. 2 UBSKMG.

Der Gesetzesentwurf sieht zudem die Einführung eines gesetzlichen Auskunftsanspruchs für Personen mit einem berechtigen Interesse gegenüber dem Jugendamt vor, vgl. § 9b Abs. 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Der Auskunftsanspruch soll sich auf die Einsicht von Erziehungshilfe-, Heim- und Vormundschaftsakten erstrecken, vgl. § 9b Abs. 1 SGB VIII. Dazu sollen die Träger von Einrichtungen und Diensten verpflichtet werden, diese Akten 20 Jahre lang nach Vollendung des 30. Lebensjahres der leistungsempfangenden Person oder des Mündels aufzubewahren, vgl. § 9b Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII. Ein berechtigtes Interesse soll dann vorliegen, wenn gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung oder eine Gefährdung des Wohls des Jugendlichen in Verbindung mit Leistungen nach dem SGB VIII bestand oder besteht, vgl. § 9b Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 SGB VIII.

Mit dem Aufbau eines Beratungssystems wird das Ziel verfolgt, Betroffene bei der individuellen Aufarbeitung von sexueller Gewalt zu unterstützen. Dazu sollen bundeszentrale Serviceleistungen bereitgestellt werden, die jungen Betroffenen dabei helfen können, Akteneinsicht oder Zugang zu relevanten Informationen zu erhalten.16 Dies kann insbesondere jungen Menschen helfen, die ggf. noch wenig Erfahrung damit haben, mit Behörden zu kommunizieren und so Unterstützung erhalten können. Der Zugang zu Akten ist eine wichtige Voraussetzung, um Rechtsansprüche (z.B. soziale Entschädigung) nach dem Vierzehnten Buch Sozialgesetzbuch (SGB XIV) geltend machen zu können.17 Dabei bleibt offen, ob junge Menschen weitere Hilfen erhalten, um etwa Entschädigungsansprüche auch tatsächlich durchsetzen zu können. Zudem bleibt unklar, welche weiteren konkreten Maßnahmen – neben der Unterstützung beim Zugang zu Akten oder Informationen – zur Unterstützung bei der individuellen Aufarbeitung von Gewalt innerhalb des Beratungssystems erbracht werden sollen.

Junge Menschen, bei denen gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bzw. eine Gefährdung im Jugendalter vorliegen, sollen durch das Jugendamt Akteneinsicht über die Erziehungshilfe, Heim- oder Vormundschaftsakten erhalten können. Dies kann für betroffene junge Menschen, die beispielsweise als Minderjährige in einem Heim untergebracht waren, wo es zu einer Kindeswohlgefährdung kam oder sie von sexuellem Missbrauch betroffen waren, wichtig sein, um institutionell Verantwortliche zu identifizieren, Anzeige erstatten zu können und ggf. Entschädigung zu erhalten. Insbesondere die Verpflichtung die Akten auch nach dem 30. Lebensjahr für 20 weitere Jahre aufzubewahren, kann jungen Menschen, die Missbrauch erlebt haben, helfen. Sie können damit auch erst im Erwachsenenalter die Akteneinsicht fordern und müssen sich dem Erlebten nicht zu einem Zeitpunkt stellen, zu dem sie ggf. noch nicht bereit dazu sind. Das kann betroffenen jungen Menschen in der Folge einen gewissen psychischen Druck nehmen.

Prävention durch Sensibilisierung, Aufklärung und Ausbau von Beratungsangeboten

§ 2 Abs. 1 UBSKMG; § 6 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 KKG

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung soll mit dem Ziel der Verbesserung des präventiven Schutzes vor sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche entsprechende Materialien, Medien und Maßnahmen entwickeln und erstellen, vgl. § 2 Abs. 1 S. 1 UBSKMG. Die Materialien sollen zur Aufklärung, Sensibilisierung und Qualifizierung von Fachkräften und Eltern beitragen, sowie an Gesundheits- und Bildungseinrichtung weitergeleitet werden, vgl. § 2 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 UBSKMG.

Neben dieser Aufgabe soll die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung auch Institutionen bei der Entwicklung, Anwendung und Umsetzung von Konzepten zum Schutz vor sexueller Gewalt unterstützen und zur Seite stehen, vgl. § 2 Abs. 1 S. 3 UBSKMG.

Der Gesetzesentwurf sieht, in Zuständigkeit des BMFSFJ, den Ausbau von Beratungsangeboten im medizinischen Kinderschutz vor. Es soll eine telefonische Beratungsstelle eingerichtet werden, an die sich bestimmte Berufsgruppen, die vermehrt mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, wie beispielsweise Ärztinnen und Ärzte sowie Fachkräfte der Jugendhilfe, bei Verdacht einer Kindeswohlgefährdung oder der Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen gemäß § 8a SGB VIII18 wenden können, vgl. § 6 Abs. 1  Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG). Die Hotline soll eine unentgeltliche Erstberatung zu Vorgehensweisen und medizinischen Fragen in Bezug auf den Verdacht einer Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen anbieten, vgl. § 6 Abs. 2 S. 1 KKG. Ziel ist es, eine zeitnahe und praxisnahe Beratung anbieten zu können, potenzielle Unsicherheiten der betroffenen Berufsgruppen in entsprechenden Situationen auszuräumen und Handlungsempfehlungen auszusprechen sowie Fragen zu beantworten.19 Die Beratung soll durch besonders geschultes Personal erfolgen, vgl. § 6 Abs. 3 KKG.

Die Verpflichtung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Materialien, Medien und Maßnahmen zu entwickeln, um den präventiven Schutz für Kinder und Jugendliche vor sexueller Gewalt zu verbessern, kann dazu beitragen, dass junge Menschen befähigt werden, Ansprechpersonen zu finden, die ihnen helfen können und ihnen einen Zugang zu qualifizierter Beratung ermöglichen.20 Somit können auch Fachkräfte durch die von der Bundeszentrale entwickelten Konzepte im Bereich Aufklärung, Qualifizierung und Vernetzung21 erreicht, sensibilisiert und befähigt werden, was wiederum zu einem Schutz junger Menschen, z.B. in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, beitragen kann. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass die entsprechenden Materialen gut zugänglich für junge Menschen, Eltern und Fachpersonal in den relevanten Institutionen (z.B. Schule, Arztpraxen) ausgelegt werden und in einer leicht verständlichen Sprache bzw. auch in mehreren Sprachen verfasst sind.

Durch die Bereitstellung eines telefonischen Beratungsangebots im medizinischen Kinderschutz können sich Fachkräfte im Gesundheitswesen (z.B. Ärztinnen oder Ärzte) sowie Fachkräfte der Jugendhilfe zeitnah und niedrigschwellig beraten lassen. Die Beratung soll ihnen helfen, einen medizinischen Sachverhalt im Kontext einer möglichen Kindeswohlgefährdung einschätzen zu können und ihnen konkrete Hilfestellungen zum weiteren Vorgehen liefern.22 Dieses Angebot kann dazu beitragen, dass Fachkräfte eine Kindeswohlgefährdung bzw. eine Gefährdung des Wohls eines Jugendlichen melden und konkrete Hinweise zum Vorgehen erhalten, wodurch betroffene junge Menschen Hilfe erhalten können. Zudem kann die Beratung Fachkräften helfen, rechtliche Unsicherheiten auszuräumen, etwa wenn ihnen nicht bekannt ist, wie die Meldung einer Kindeswohlgefährdung mit der ärztlichen Schweigepflicht einhergeht.23

Schutz vor Gewalt in der Jugendhilfe

§§ 77 Abs. 1 S. 2; 79a Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 SGB VIII

Die Vereinbarungen über die Kostenübernahme und Qualitätsentwicklung bei ambulanten Leistungen im SGB VIII soll um das Qualitätsmerkmal des Gewaltschutzes erweitert werden, vgl. § 77 Abs. 1 S. 2 SGB VIII. Zur Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe soll § 79a Abs 1. S. 2 SGB VIII dahingehend modifiziert werden, dass sich die Vorgaben zur Qualitätsentwicklung im Bereich des Gewaltschutzes nun auf das gesamte Aufgabenspektrum der Kinder- und Jugendhilfe erstrecken sollen. Da die bestehenden Regelungen zur Gesamtverantwortung des öffentlichen Trägers der Kinder- und Jugendhilfe in § 79 SGB VIII sowie in den Finanzierungsregelungen (§§ 74 und 78b SGB VIII) bereits auf § 79a SGB VIII verweisen, werden die Vorgaben zum Gewaltschutz verbindlicher und sollen sich ebenfalls mittelbar auf die freien Träger der Jugendhilfe durch die Finanzierung erstrecken.24

Durch die Aufnahme des Gewaltschutzes als Qualitätsmerkmal zur Kostenübernahme ambulanter Leistungen, können junge Menschen, die bzw. deren Familien solche Leistungen über einen freien Träger der Jugendhilfe beziehen, besser geschützt werden. Der Schutz vor Gewalt erhält damit einen höheren Stellenwert, der anderen Qualitätsmerkmalen, wie der Qualität der Leistung oder deren inklusiver Ausrichtung, gleichstellt ist.

Mit der Aufnahme des Gewaltschutzes in § 79a SGB VIII werden die Vorgaben zum Gewaltschutz auf das gesamte Aufgabenspektrum der Kinder- und Jugendhilfe erstreckt, wodurch der Träger der öffentlichen Jugendhilfe in eine stärkere Verantwortung bezüglich des Schutzes junger Menschen genommen wird. Insbesondere kann damit eine Schutzlücke gegenüber jungen Menschen geschlossen werden, die für Jugendliche außerhalb von erlaubnispflichtigen Einrichtungen oder in Pflegefamilien besteht.25

  1. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, 15. April 2024, 2.
  2. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, 22.
  3. Vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat, „Polizeiliche Kriminalstatistik 2023 Ausgewählte Zahlen im Überblick“ (Berlin, März 2024), 16.
  4. Vgl. Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, „Zahlen und Fakten: Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“, Mai 2022, 5, https://beauftragte-missbrauch.de/fileadmin/Content/pdf/Zahlen_und_Fakten/220810_UBSKM_Fact_Sheet_Zahlen_und_Fakten_zu_sexuellem_Kindesmissbrauch_.pdf, letzter Abruf: 16.04.2024.
  5. Vgl. Monika Schröttle und Claudia Hornberg, „Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Deutschland. Kurzfassung“ (Universität Bielefeld im Auftrag des BMFSFJ, Februar 2012), 21.
  6. Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, „Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche Forschung fördern, Prävention verbessern, pädagogische Praxis stärken“, Juni 2019, 11.
  7. Vgl. Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, „Zahlen und Fakten: Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“, 2 f.
  8. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, 33.
  9. Vgl. Bundesjugendkuratorium, „Das Recht junger Menschen auf Schutz vor Gewalt – Verantwortung aller jenseits institutioneller Grenzen“, 4. Februar 2021, 1.
  10. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, 34.
  11. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, 40.
  12. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, 40 f.
  13. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, 40.
  14. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, 42.
  15. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, 44.
  16. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, 35.
  17. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, 35.
  18. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, 54.
  19. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, 54.
  20. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, 34.
  21. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, 34.
  22. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, 54.
  23. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, 55.
  24. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, 52.
  25. Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, 53.

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