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Verbot Gehsteigbelästigungen

Geprüfter Gesetzentwurf: Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (Stand 21.11.2023)

Verantwortliches Ressort:
Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Veröffentlichung vom:
04.12.2023
Betroffene Lebensbereiche:
Familie, Umwelt/Gesundheit
Art der Betroffenheit:
junge Menschen als Betroffene
Betroffene Gruppen junger Menschen:
Altersgruppe 12-27, nicht-binär, trans, weiblich, alle Lebensmittelpunkte, mit und ohne Beeinträchtigung, alle Lern- und Erwerbsverhältnisse, alle Staatsangehörigkeiten

Ziel des Gesetzentwurfs

Mit dem Gesetzesvorhaben sollen Schwangere, welche einen Schwangerschaftsabbruch erwägen, besser geschützt werden. Dafür soll die ungehinderte Inanspruchnahme der Schwangerschaftskonfliktberatung sowie der ungehinderte Zugang zu solchen Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, gegenüber den Ländern sichergestellt werden. Zudem soll die Belästigung von Schwangeren und die Behinderung des Personals vor Beratungsstellen sowie Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen verboten werden.1

Mögliche Auswirkungen

Das Kompetenzzentrum Jugend-Check hat folgende mögliche Auswirkungen identifiziert:

  • Durch das geplante Belästigungsverbot im Bereich von 100 Metern um den Eingangsbereich der Beratungsstellen (§ 8 Abs. 2 SchKG) und Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen (§ 13 Abs. 3 SchKG), könnten junge Schwangere, die einen Schwangerschaftsabbruch erwägen, in einer vulnerablen Situation besser vor Einflussnahme durch Dritte geschützt werden. Sie könnten sich dann ohne Ablenkungen auf das bevorstehende Gespräch oder den bevorstehenden Eingriff einlassen. Dies kann ihre unabhängige Entscheidungsfindung stärken.
  • Junge Schwangere könnten zudem durch das Belästigungsverbot besser vor psychischer Gewalt geschützt werden. Wenn sie vor den Einrichtungen keine Einschüchterung erfahren oder verstörende Abbildungen gezeigt bekommen, werden sie in ihrer emotionalen Ausnahmesituation nicht länger verunsichert.

Betroffene Gruppen junger Menschen

Betroffene sind in der für den Jugend-Check relevanten Altersgruppe junge Menschen bis 27 Jahre, welche schwanger sind und einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen.

Insgesamt wurden im Jahr 2022 103.927 Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland durchgeführt. Davon entfallen ca. drei Prozent auf unter 18-jährige und ca. 23 Prozent auf die Altersgruppe der 18- bis unter 25-Jährigen. Nimmt man die Altersgruppe der 25- bis 30-Jährigen hinzu, finden knapp die Hälfte (ca. 48 Prozent) der Schwangerschaftsabbrüche bis zum 30. Lebensjahr statt.2 Junge ungewollt Schwangere, welche sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, befinden sich besonders häufig in Ausbildung oder Studium, sind ledig oder in einer schwierigen Partnerschaft und haben noch kein Kind.3

Besonders betroffen sind junge Schwangere, die Schwangerschaftskonfliktberatungen bzw. Kliniken, welche Schwangerschaftsabbrüche durchführen, an Orten aufsuchen (müssen), an denen Gehsteigbelästigungen bislang nicht auf kommunaler Ebene eingeschränkt werden.4

Betroffene Lebensbereiche

Familie, Umwelt/Gesundheit

Jugendrelevante Auswirkungen

Mehr Schutz und Selbstbestimmung durch Belästigungsverbot

§ 8 Abs. 1 und Abs. 2, § 13 Abs. 2 und Abs. 3 SchKG

Die Länder sollen sicherstellen, dass Schwangere ungehinderten Zugang zu Einrichtungen haben, die über Schwangerschaftsabbrüche beraten und Schwangerschaftsabbrüche durchführen, vgl. § 8 Abs. 1 und § 13 Abs. 1 Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG).

Weiterhin soll künftig ein Belästigungsverbot zum Schutz von Schwangeren bestehen, vgl. § 8 Abs. 2 und § 13 Abs. 3 SchKG. Danach sollen in einem Umkreis von 100 Metern um den Eingangsbereich einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle oder einer Einrichtung, die Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, solche Handlungen untersagt werden, die „in einer für die Schwangeren wahrnehmbaren Weise“ dazu geeignet sind, die Inanspruchnahme der Beratungsstelle (§ 8 Abs. 2 SchKG) oder der Einrichtung, die Schwangerschaftsabbrüche vornimmt (§ 13 Abs. 2 SchKG), durch die Schwangere zu beeinträchtigen. Darunter sollen beispielsweise solche Handlungen gefasst werden, die darauf abzielen, den Schwangeren das Betreten der Beratungsstelle oder einer Einrichtung, die Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, zu erschweren (§ 8 Abs. 2 Nr. 1, § 13 Abs. 3 Nr. 1). Es soll sich auch um eine verbotene Belästigung handeln, wenn der Schwangeren entgegen ihres erkennbaren Willens die eigene Meinung über das Fortsetzen oder Beenden der Schwangerschaft aufgedrängt wird (§ 8 Abs. 2 Nr. 2, § 13 Abs. 2 Nr. 2). Zudem soll es verboten sein, eine Schwangere zu bedrängen, einzuschüchtern oder auf andere Weise erheblich unter Druck zu setzen, um sie in ihrer Entscheidung über die Fortsetzung oder Beendigung ihrer Schwangerschaft zu beeinflussen (§ 8 Abs. 2 und Nr. 3, § 13 Abs. 3 und Nr. 3). Schließlich sollen Schwangere vor der Äußerung bzw. Mitteilung unwahrer Tatsachenbehauptungen zu Schwangerschaften und deren Abbrüchen geschützt werden (§ 8 Abs. 2 Nr. 4 u. Nr. 5 lit. a), § 13 Abs. 2 Nr. 4 u. Nr. 5 lit. a)), ebenso wie vor solchen Inhalten5, die offensichtlich dazu geeignet sind, eine Schwangere stark zu verwirren oder stark zu beunruhigen (§ 8 Abs. 2 Nr. 5 lit. b), § 13 Abs. 2 Nr. 5 lit. b)). Mit dem Belästigungsverbot soll der besonderen Schutzbedürftigkeit von Schwangeren in der besonderen physischen wie psychischen Konfliktsituation eines bevorstehenden Schwangerschaftsabbruchs Rechnung getragen werden.6

Durch das geplante Belästigungsverbot im Umkreis von 100 Metern um den Eingangsbereich von Beratungsstellen und Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, könnten insbesondere junge Schwangere, die einen Schwangerschaftsabbruch erwägen, in einer vulnerablen Situation besser vor Einflussnahme durch Dritte geschützt werden. So könnte ihr Zugang zu einer unabhängigen Entscheidungsfindung im Rahmen der Schwangerschaftskonfliktberatung gestärkt sowie mögliche Barrieren im Zugang zu einer Einrichtung, die Schwangerschaftsabbrüche durchführt, vermindert werden. Das geplante Verbot von Belästigungen zum Schutz von Schwangeren ist dabei insbesondere für junge Frauen relevant. Im Vergleich zu älteren Frauen sind junge Frauen unter 25 Jahren seltener schwanger. Da sie ihre Schwangerschaft jedoch häufiger abbrechen, müssen sie proportional häufiger eine Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle oder eine Klinik, welche Schwangerschaftsabbrüche durchführt, aufsuchen.7

Bislang besteht die Gefahr, dass Schwangere, die eine Schwangerschaftskonfliktberatung durch eine anerkannte Beratungsstelle in Anspruch nehmen oder einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen möchten, durch Protestaktionen von sogenannten Abtreibungsgegnerinnen und -gegnern gezielt belästigt werden.8 Das geplante Verbot solcher Protestformen im näheren Umkreis von Beratungseinrichtungen oder Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, kann dazu beitragen, dass Schwangere nicht mehr vom Betreten der Beratungseinrichtung oder Klinik insgesamt abgeschreckt werden.9 Die konkrete Festlegung des Radius von 100 Metern könnte dabei sicherstellen, dass ein ausreichend großer Abstand zum Eingangsbereich der jeweiligen Einrichtung von Protestierenden eingehalten wird. Je nach örtlichen Gegebenheiten könnten junge Frauen allerdings nach wie vor in Sichtweite der Beratungsstelle mit verstörenden Inhalten konfrontiert werden.  So ist anzunehmen, dass die sog. Gehsteigbelästigungen durch die geplante Gesetzesänderung nicht gänzlich unterbunden werden können. Zwar wären sie im Umkreis von 100 Metern um den Eingangsbereich einer Beratungsstelle oder Einrichtung, die Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, verboten. Damit wären sie allerdings, je nach örtlichen Begebenheiten, immer noch in Seh- und Hörweite einer Beratungsstelle oder Einrichtung, die Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, möglich, beispielsweise an der nächsten Haltestelle des ÖPNV. Da junge Menschen vermehrt auf den ÖPNV angewiesen sind,10 könnten gerade junge Schwangere, die einen Schwangerschaftsabbruch erwägen, dort unter Druck gesetzt und in ihrer freien Entscheidungsfindung beeinträchtigt werden.

Ungewollt Schwangere empfinden besonders die Zeit bis zur Entscheidung bzw. Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches als belastend.11 Diese emotionale Ausnahmesituation trifft auf junge ungewollt Schwangere in besonderem Maße zu, denn bei ihnen führen häufig Gründe wie „ein ,zu jung sein‘ bzw. eine fehlende Reife für Kinder und der fehlende Abschluss der Ausbildung bzw. des Studiums“12 zum Entschluss für einen Schwangerschaftsabbruch. Dazu kommen Gedanken rund um die finanzielle Sicherheit sowie die Partnerschaft13, die in jungen Jahren häufig noch nicht gefestigt oder nicht vorhanden ist.14 Im Rahmen einer Schwangerschaftskonfliktberatung ist es notwendig, dass die Betroffenen einer ihnen fremden Person persönliche Dinge preisgeben. Diese Situation kann bereits mit psychischem Stress verbunden sein.15 Daher ist schon außerhalb der Beratung eine Umgebung notwendig, die einer vertrauensvollen und empathischen Atmosphäre nicht entgegensteht. Mögliche Scham- und Unsicherheitsgefühle, welche mit dem Aufsuchen einer Schwangerschaftskonfliktberatung einhergehen und welche bei jungen Menschen, wie skizziert, verstärkt vorhanden sein können, könnten durch das geplante Verbot von Belästigungen vor Beratungsstellen und Kliniken reduziert werden. Denn junge Schwangere könnten sich dann sicherer sein, dass sie auf dem Weg zur Beratung nicht unangenehm angesprochen oder „mit verstörenden Abbildungen zur Thematik konfrontiert“16 werden. Sie könnten sich dann ohne Ablenkungen und Verunsicherungen auf das bevorstehende Gespräch einlassen. Die geplanten Gesetzesänderungen könnten so zu einem verbesserten Schutz von jungen Schwangeren, die den Abbruch ihrer Schwangerschaft erwägen, vor psychischer Gewalt führen. Dies kann ihre (gesundheitliche) Selbstbestimmung stärken und sie bei der Wahrnehmung ihrer reproduktiven Rechte17 unterstützen.

Anmerkungen und Hinweise

Künftig soll es sich auch in dem Fall um eine verbotene Belästigung handeln, wenn Schwangeren entgegen ihrem erkennbaren Willen eine bestimmte Meinung zu ihrer Entscheidung über die Fortsetzung oder Beendigung ihrer Schwangerschaft aufgedrängt wird, vgl. § 8 Abs. 2 Nr. 2 und § 13 Abs. 3 Nr. 2 SchKG. Fraglich bleibt allerdings, wie junge Schwangere ihren „erkennbaren Willen“ in der Praxis tatsächlich äußern oder verdeutlichen sollen. Besonders junge Schwangere könnten sich davor scheuen, eine versuchte Ansprache offensichtlich abzuwehren. Das Verbot der Bedrängung und Einschüchterung sowie der unwahren Tatsachenbehauptungen könnten daher für junge Schwangere wirkungsvoller sein, um sie vor Belästigung zu schützen.

  1. Vgl. „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes“, 21. November 2023, 2.
  2. Vgl. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, „Tabelle: Schwangerschaftsabbrüche (Anzahl)“, 2023, https://www.gbe-bund.de/gbe/!pkg_olap_tables.prc_set_orientation?p_uid=gast&p_aid=1032435&p_sprache=D&p_help=2&p_indnr=238&p_ansnr=33756634&p_version=2&D.000=1&D.001=3&D.002=2&D.100=3 (zuletzt aufgerufen am: 20.06.2023), eigene Berechnung.
  3. Vgl. Cornelia Helfferich u. a., „frauen leben 3. Familienplanung im Lebenslauf von Frauen – Schwerpunkt: Ungewollte Schwangerschaften“, hg. von Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Forschung und Praxis der Sexualaufklärung und Familienplanung 38 (2016): 150.
  4. Fehlende Einschränkungen auf kommunaler Ebene gibt es z.B. in Frankfurt am Main. Vgl. Alicia Lindhoff, „Das Kreuz mit den Abtreibungsgegnern“, hessenschau, 1. April 2023, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/mahnwachen-vor-beratungsstellen-das-kreuz-mit-den-abtreibungsgegnern-v1,mahnwachen-abtreibungen-bannmeilen-100.html (zuletzt aufgerufen am: 19.06.2023).
  5. §§ 8 Abs. 2 Nr. 5 lit. b), 13 Abs. 2 Nr. 5 lit. b) SchKG schützen Schwangere vor Inhalten, die in Schriften, in Ton – oder Bildträger, in Datenspeichern, Abbildungen oder anderen Verkörperungen enthalten sind oder auch unabhängig von einer Speicherung mittels Informations- und Kommunikationstechnik übertragen werden (vgl. § 11 Abs. 3 Strafgesetzbuch).
  6. Vgl. „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes“, 11.
  7. Vgl. „8 Fakten zum Schwangerschaftsabbruch in Deutschland“, profamilia factsheet (Frankfurt am Main, 2018), https://www.profamilia.de/fileadmin/profamilia/8_Fakten_zum_Schwangerschaftsabbruch-WEB.pdf (zuletzt aufgerufen am: 19.06.2023).
  8. Vgl. „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes“, 1.
  9. Vgl. „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes“, 1.
  10. Vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, „Mobilität in Deutschland. Ergebnisbericht.“ (Bonn, 2018).
  11. Vgl. Jana Maeffert und Christiane Tennhardt, „Schwangerschaftsabbruch in Deutschland: Gesetzeslage, Herausforderungen und aktuelle Entwicklungen unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie.“, Bundesgesundheitsblatt 66, Nr. 3 (2023): 312.
  12. Helfferich u. a., „frauen leben 3. Familienplanung im Lebenslauf von Frauen – Schwerpunkt: Ungewollte Schwangerschaften“, 150.
  13. Vgl. Helfferich u. a., 241.
  14. Die erschwerte Situation wird auch aus den Ergebnissen einer aktuellen Studie deutlich, in der die Hälfte der befragten bisher kinderlosen 14- bis 25-Jährigen angeben, dass eine unerwartete Schwangerschaft zum Zeitpunkt der Befragung einer „Katastrophe“ gleichkäme. Für ein weiteres Drittel wäre eine solche Situation „sehr unangenehm“. Vgl. S. Scharmanski und A. Hessling, „Im Fokus: Kinderwunsch. Jugendsexualität 9. Welle.“, BZgA-Faktenblatt (Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 2021), 7.
  15. Vgl. Maeffert und Tennhardt, „Schwangerschaftsabbruch in Deutschland: Gesetzeslage, Herausforderungen und aktuelle Entwicklungen unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie.“, 316.
  16. Vgl. „Begründung zum Gesetzesvorhaben ‚Maßnahmen zur Verhinderung von Gehsteigbelästigungen‘“, 2023, 3.
  17. Die reproduktiven Rechte sind in verschiedenen Völkerrechtsverträgen festgehalten. Darunter fällt u.a. die Verpflichtung der Vertragsstaaten im Rahmen der UN-Frauenrechtskonvention den Zugang zur Familienplanung zu gewährleisten. Vgl. Laura Klein und Friederike Wapler, „Reproduktive Gesundheit und Rechte“, Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 20 (2019): 20–26.

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